Vor einem Jahr, als wir nicht ans Schachbrett durften

Ich lese gerade Michel Serres' "Was genau war früher besser?", erschienen 2017. Beim Betrachten des aktuellen Jahres wirkt die Frage etwas aus der Zeit gefallen und die Liste wird schnell lang. Beispiel gefällig? Wir hatten herrliche Probleme - und brauchten nicht mal Corona um das Spielen am Brett zu verhindern.

Schach spielen? Und dann noch am vierten Advent? Meh, ganz schön lästig. Sich zwei Tage vor Jesu Geburtstag frühmorgens aus dem Bett zu quälen um ein paar Klötzchen übers Brett zu schieben. Und dann noch Abstiegskampf. Auswärts! Daheim im Warmen sitzen und sich die dreizehnte Zimtwaffel reinschieben – das wärs! Aber wir ertrugen unser Schicksal.

In Düsseldorf fing alles an

Fast vollzählig standen wir gegen neun Uhr pünktlich am Treffpunkt, bei Berücksichtigung der üblichen Karenzzeit. Einer fehlte und kein Lebenszeichen. Während Max auf der Suche nach dem Verlorenen durch Eisenberg kurvte und ich die Liste potentieller Ersatzspieler abtelefonierte, machte sich das erste Auto auf in Richtung Westpfalz. Über Umwege dann herausgefunden, dass der Vermisste in Düsseldorf weilt und à la Nick Knatterton kombiniert, dass das zeitlich wohl nicht mehr möglich ist. Der heilige Vater ist dem gnädig, der ein Vereinsmitglied direkt gegenüber dem Spiellokal wohnen hat: aus dem Bett ins Auto fallen und auch wir sind unterwegs. Mittlerweile war es fast drei viertel zehn – 10:00 Uhr ist Anpfiff, also noch fünfzehn Minuten (Redundanz für diejenigen, die die Uhr nicht lesen können!).

Vorbereitung ist alles

Max weiß wie er mir an einem Sonntagmorgen ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann: „Hannes, weißt du wo das Spiellokal ist?“ Mal mit Auto Nummer 2 absichern:

Die Suche nach dem Spiellokal und kein Stern weit und breit.

Ach, komm! So läuft doch jedes dritte Auswärtsspiel..

Wie aus dem Chat zu entnehmen ist, war auch unser zweites Auto nicht pünktlich. Regelsichere wissen: Um 09:50 Uhr muss die Mannschaftsaufstellung abgegeben sein. Liegt diese nicht vor, wird eine Kontrolluhr in Gang gesetzt und die Bedenkzeit im Anschluss angepasst (ich möchte unbedingt mal dabei sein, wenn das passiert). Um 10:30 Uhr endet die Karenzzeit.

Aller hopp. Max fährt viertel elf am Spiellokal vor, unsere bereits eingetroffenen Mannschaftskollegen bringen ihn wild gestikulierend zum Anhalten. Mein Typ wird verlangt; Ruhe und Ausgeglichenheit erscheinen von höchster Wichtigkeit. An dieser Stelle sei nochmal betont, dass a) der Kampf sportlich von enormer Bedeutung war – es ging ums Überleben (Vorbereitung ist alles!) und b) wir nach den ganzen Unannehmlichkeiten nun endlich Schach spielen wollten. Eine der schönsten Sachen der Welt. Mit wohlgeformten Figuren und einem saftigem Holzbrett. Großartig!

Wer den letzten Fehler macht verliert

Alles, was wir in der Hand hatten, haben wir versucht. Oder so ähnlich. Sechster Spieltag, 2. Pfalzliga West, Duell um den Klassenerhalt. Doch unser Gegner weigerte sich anzutreten, da wir zu spät seien. Die Schiedsrichterin der Begegnung nahm unsere Mannschaftsaufstellung nicht an und wertete den Kampf entsprechend 8-0 für unsere Gastgeber. All unsere Versuche, den Kampf doch noch stattfinden zu lassen, scheiterten. Dass diese Entscheidung nicht auf der Turnierordnung fußt, ist die eine Sache. Dass das Ergebnis hätte genau umgekehrt sein müssen – weil Nichtantritt – , die andere. Ich will hier jetzt auch gar nicht ausholen, warum wir Schachsportler überhaupt eine Karenzzeit brauchen. Oder warum wir Schachsportler unsere eigenen Regeln nicht kennen. Das ist nicht das Thema. Was wir doch damals tolle Probleme hatten!

Im Anschluss haben wir dann die Verwaltungsmaschinerie angeworfen: Dem Protest beim Landesspielleiter wurde teilweise stattgegeben und ein Nachholspiel angesetzt. Was waren wir töricht: Anstatt die Chance auf eine ordentliche Partie Schach wahrzunehmen, wollten wir natürlich recht bekommen und zogen vor das Schiedsgericht. Ich liebe die Probleme von damals. Und wir bekamen recht! 8-0 am grünen Tisch. Ein Satz in der Urteilsbegründung klingelt mir heute noch in den Ohren:

In jedem Fall ist das Abhalten des Mannschaftskampfes bewusst vereitelt worden. Ziel der Entscheidung war ein Obsiegen mit 8:0.

Schiedsgerichtsvorsitzender Florian Schulz-Knappe 

Jaja. Was waren wir töricht! Das gegen eine Partie Schach einzutauschen.

Am Ende bist sogar froh darüber, dass die Ligen abgebrochen wurden. Die acht kampflosen Brettpunkte hätten den Ausschlag geben können, dass wir noch an unseren Schachfreunden aus Enkenbach und Winnweiler vorbeiziehen. Und das wäre maximal ekelhaft gewesen. Herrliche Lösungen, damals!

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